In dem Gespräch mit Prof. Petro Rychlo berichtet er darüber, dass die Rezeption des deutschsprachigen österreichischen Dichters Paul Celan in der Sowjetzeit bis auf die letzten Jahre vor dem Zusammenbruch ein Tabu war. Dabei wurde er 1920 in Czernowitz 1920 geboren und lebte dort für kurze Zeit, von 1940-1941, sowie von 1944-1945, als Bürger der Ukrainischen Sowjetrepublik. Wie Dr. Anton Drobovych in seinem Einführungsvideo bereits mitteilte, versuchte man in der Sowjetunion alles aus der Erinnerung zu löschen, was nicht zu den vorgegebenen Klischees passte und für die Sowjetideologie gefährlich sein konnte. Paul Celan ist ein gutes Beispiel dafür: jüdische Herkunft, schrieb auf Deutsch, floh von der Sowjetunion in den Westen – zuerst nach Wien und dann nach Paris. Damit war er zum Vergessen verurteilt. Mit einer solchen Biografie war kein Platz in der sowjetischen, vom Staat bestimmten Erinnerungskultur. In der Heimatstadt von Paul Celan, in Czernowitz war er bis 1990 nicht bekannt. Das erste Treffen einiger Celan-Enthusiasten mit wenigen ehemaligen Freunden und Bekannten von Paul Celan fand erst 1990 in Czernowitz statt. Mit der Unabhängigkeit der Ukraine kam 1991 eine freie Erinnerungspolitik, die auf einen multikulturellen Dialog ausgerichtet war. Bereits 1992 erscheint die erste Anthologie mit ukrainischen Übersetzungen von Paul Celans Gedichten in der damals üblichen und heute sehr großen Auflage von 5000 Exemplaren, die im ersten Erscheinungsjahr vergriffen wurden. Das zeugt von einer riesigen Lücke und von einem großen, plötzlich erwachten Interesse an den Werken eines Autors, der früher verboten war. In den 1990er Jahren erschienen noch weitere Anthologien mit Werken von Paul Celan, aber auch von anderen deutschsprachigen Autoren und Autorinnen wie Rose Ausländer aus Bukowina in der ukrainischen Übersetzung. Von 2013 bis 2020 sind 10 Bände mit dem vollständigen Werk von Paul Celan auf Deutsch und auf Ukrainisch erschienen. Das ist ein positives Beispiel, wie in der unabhängigen und demokratischen Ukraine das zur Sowjetzeit verbotene Gedenken an einen unpassenden Autor wiederhergestellt wurde. Von diesen Bestrebungen sprach auch Dr. Anton Drobovych, der Leiter des Ukrainischen Instituts für das Nationale Gedenken.
Am Ende des Vortrags wurde auch auf Gedenkorte eingegangen, die für Paul Celan eingerichtet wurden. So gibt es in Czernowitz heute mehrere Denkmäler und Gedenktafeln, die an ihn erinnern. Es existieren auch viele unmarkierte Orte, die mit dem Dichter verbunden sind. Außerdem verfügt die Stadt über ein Celan-Literaturzentrum und mit einem Celan-Preis wird an sein Schaffen erinnert.
Weiterführendes Material zu Paul Celan:
Celan übersetzen – Die Sprache mit den Fingerspitzen fühlen, ein Hör-Feature, 55 min, vom 20.11.2020, von Uta Ackermann (Deutschlandfunk Kultur)
Akute Dichtung: Celans Zumutungen (Geschichte der Gegenwart)