Am 25. November konnten wir uns eine weitere Führung zu Gedenkorten in der Ukraine anschauen. Diesmal ging es um die traurigen Seiten der Geschichte der Stadt Zhytomyr, die mit zwei schrecklichen totalitären Regimen verbunden sind: mit der Nazi-Besatzung 1941-1944 sowie mit den stalinistischen Repressalien in den 1930er Jahren. Prof. Serhiy Stelnykovych erzählte mit viel Fachwissen über die aktuelle Erinnerungskultur in der Stadt und Region Zhytomyr in Bezug auf die Archivmaterialien und die Gedenkstätten. Diese Region war in den 1930/40er Jahren multinational und multikulturell, was auch in der heutigen Erinnerungskultur in Zhytomyr zu spüren ist. Zum Beispiel gedenken die Vertreter der ukrainischen örtlichen Staatsbehörden allen Opfern des stalinistischen sowjetischen Großen Terrors jedes Jahr an einem Denkmal für die Opfer der tschechischen Gemeinde, das wiederum an einem jüdischen Friedhof steht. Das Denkmal für die Opfer des Holodomor, die vor allem ukrainische Bauern waren, ist zugleich ein Ort, wo sich die armenische Gemeinde versammelt, um sich an die Opfer ihres Volkes im Osmanischen Reich 1915 zu erinnern. Die Deutschen waren in Wolhynien genauso wie andere Nationalitäten vom stalinistischen Terror betroffen.
Weitere Gedenkorte, die Prof. Stelnykovych vorstellte, waren mit dem Nazi-Terror 1941-1944 verbunden. Ein Denkmal wurde noch zu Sowjetzeiten an der Stelle gerichtet, wo sich ein riesiges Lager mit sowjetischen Kriegsgefangenen befand. Außerdem gibt es im Wald Kreuze, wo Erschießungen der Zivilbevölkerungen stattgefunden hatten. Diese Kreuze wurden vor einigen Jahren aufgestellt und erinnern an alle Opfer. Dort gibt es auch Steine mit der Ankündigung, eine weitere Gedenkstätte zu erbauen. Ein besonderes Denkmal erinnert an die jüdischen Opfer des Nazi-Terrors.
Die Vernichtung der Juden war in der Region Zhytomyr besonders hart, weil in der Nähe der Stadt das Hauptquartier von Heinrich Himmler lag. Wir konnten ein Gebäude sehen, das an diese schreckliche Zeit erinnert und als einziges des großen Komplexes bis heute in einem vernachlässigten Zustand erhalten blieb.
Wir besuchten auch einen großen Militärfriedhof mit Wehrmachtsoldaten und -offizieren, aber auch Angehörigen der SS, den Prof. Stelnykovych einen symbolischen Ort nannte. Er kann an alle Opfer aller Waffenkonflikte erinnern, wo es keine Gewinner gibt, aber eine große Tragödie für viele Völker darstellt.
Schlussfolgernd sagte Prof. Stelnykovych, dass der symbolische Erinnerungsraum Zhytomyr aus vielen und unterschiedlichen Erinnerungsorten besteht, die zur Entstehung einer offenen und multinationalen Erinnerungskultur beitragen.
Nach der Führung folgte eine Diskussion, wie das Material im DaF-Unterricht eingesetzt werden kann.